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Serien

 

Aufruf zur Beitragsserie:
Wissensproduktion in der Archäologie

Mit dieser Ausgabe starten wir eine Serie von Beiträgen, die sich mit der Herstellung von archäologischem Wissen beschäftigen. Bereits seit den 1970er Jahren entwickelt sich in den Naturwissenschaften das komplexe Feld der Science Studies, unter dem man zunächst den ethnographischen Blick auf Laborarbeiten verstand, eine Art des Forschens, für die exemplarisch Bruno Latour und Steve Woolgars Laboratory Life: The Construction of Scientific Facts (1986) steht. Aus diesem Ansatz und anderen Forschungen im Rahmen des "Social Construction of Technology" (SCOT) und des "Science, Technology and Society" (STS) Paradigmas ergaben sich längerfristig auch Bemühungen, die Wissensproduktion in der Archäologie zu erforschen. Zwei unterschiedliche fachgeschichtliche Stränge konvergieren heute in einem allgemein gestiegenen Interesse am wechselseitigen Verhältnis von archäologischen Praktiken und Forschungsergebnissen.

Einerseits wird die archäologische Wissensproduktion im Sinne einer Vernetzung von Objekten, Informationen und Menschen untersucht, wobei derzeit ein hauptsächlicher Weg das analytische Ausschalten der Faktoren Motivation, Interesse oder Intention der unterschiedlichen Akteure ist (z. B. Webmoor 2013). Beschreibung dominiert, Erklärung und Ursache-Wirkungs-Beziehungen werden in den Hintergrund geschoben. Dies ist eine Möglichkeit, auf innovative Art die Herstellung von archäologischem Wissen anzugehen. Geschichte, auch als Fachgeschichte, spielt hierbei allenfalls eine minoritäre Rolle, während die direkte Beobachtung von Aktivitäten im archäologischen Bereich aufgrund der genauen Analyse der Rolle von Dingen oftmals überraschende Einsichten mit sich bringt.

Ein zweiter Ansatz, die Archäoethnographie, hat ebenfalls die Wissensproduktion zum Ziel, verfolgt aber einen anderen Weg. Archäoethnographie meint die bekannte "teilnehmende Beobachtung" der Ethnographie, wobei die "Objekte" der Forschung nicht "die Fremden" sind, sondern die ArchäologInnen selbst. Matt Edgeworth (2006), aber auch Yannis Hamilakis (Hamilakis und Anagnostopoulos 2009) sowie Ian Hodder (2002) haben die Generierung von archäologischem Wissen in diesem Sinne näher untersucht. Hier interessieren neben den zur Forschung eingesetzten Mitteln auch der geschichtliche Hintergrund und die Ambitionen der beteiligten Personen, sowie finanzielle und politische Differenzen von Projektbeteiligten.

Beide Ansätze beschäftigen sich mit Untersuchungsweisen, welche sowohl nach banalen als auch hochkomplexen Verhältnissen im archäologischen Alltag fragen. Auf welche Art wird der Zuschnitt von Grabungsflächen vorbestimmt? Welche unausgesprochenen Vorstellungen fungieren als Vorbedingungen in Forschungsansätzen und konkreten Projekten? Welchen Einfluss haben bestimmte Geräte und Dokumentationsmethoden auf die Ausgrabungstätigkeit samt anschließender Interpretation? Wie funktionieren Mechanismen der Ex- bzw. Inklusion von menschlichen und anderen Akteuren in der archäologischen Wissensproduktion? Wie bestimmen Messgeräte die Einordnung von archäologischen Materialien, die graphische Darstellung von Orten und Nichtorten?

Dies sind nur Facetten im extrem vielfältigen Bereich archäologischer Herstellung von Wissen. Das komplexe Feld der praktischen Konstruktion von Kenntnissen scheint unerschöpflich und so ließe sich diese Liste beliebig fortführen. Die Geschichte der Archäologie ist also keineswegs eine Akkumulation von Wissen über die Vergangenheit, noch nicht einmal des immer genaueren Wissens aufgrund innovativer Methoden. Vielmehr stehen die Methoden der Erlangung von neuem Wissen und die Vorstellungen darüber, was überhaupt lohnendes Wissen sei, in einem dialektischen Verhältnis. Um nur ein Beispiel zu nennen: Noch immer werden unhinterfragt die großskaligen, regionalen bis supraregionalen Synthesen als maßgebende Ziele der archäologischen Forschung verstanden, was zum Einsatz spezifischer Analysegeräte wie Satellitenphotos und Auswertungssoftware führt. Dagegen werden die kleinteiligen Haushaltsanalysen, eine Alltagsarchäologie oder gar die Frage nach Intentionalität in der Vergangenheit nach einer kurzen Periode großen Interesses heute wieder in den Hintergrund gerückt (s. Robb und Pauketat 2013). Was sind die Gründe für einen solchen Wandel?

Über die unterschiedlichen Beiträgen wollen wir den Zusammenhang zwischen den Verfahren, die bei der Wissensproduktion eingesetzt werden, und den Arten des Wissens, die dabei entstehen, näher beleuchten. Die Beiträge dieser Reihe werden mit dem Signet "Wissensproduktion in der Archäologie" und einer Nummer gekennzeichnet, so dass das über die Zeit entstehende Konvolut leicht in der Zeitschrift nachverfolgt werden kann.

Wir eröffnen diese Serie mit einem Beitrag aus der Feder von Susanne Grunwald zum Thema der Kartographie und ihrer Geschichte in der Prähistorischen Archäologie. Interessierte Leser_innen sind eingeladen, sich mit eigenen Beiträgen zu beteiligen. Vorschläge richten Sie bitte an: post@kritischearchaeologie.de

 

Serie: Wissensproduktion in der Archäologie

HerausgeberInnen-Kollektiv
Vorwort der Herausgeber_innen zum Auftakt der Serie „Wissensproduktion in der Archäologie“       

 

 

Editorial Collective of FKA
The Production of Knowledge in Archaeology       

 

 

Susanne Grunwald
Archäologischer Raum ist politischer Raum. Neue Perspektiven auf die Archäologische Kartographie (1. Beitrag)   [Zusammenfassung]   [Abstract]     

Im folgenden Beitrag sollen die Potentiale einer wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive auf die deutsche archäologische Kartographie aufgezeigt werden. Dafür wird der Zusammenhang zwischen zeitgenössischen politischen Raumdiskursen und deren kartographischen Repräsentationen einerseits und den von PrähistorikerInnen rekonstruierten und kartierten prähistorischen Raumordnungen andererseits näher untersucht. Nach einem Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand zur archäologischen Kartographie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wird eine kurze Einführung in die Perspektiven der sog. critical cartography folgen. Am Beispiel einer Karte von Robert Beltz (1899) und einer von Gustaf Kossinna (1924) werden diese Zusammenhänge zwischen zeitgenössischen politischen Raumordnungen und -diskursen und den von PrähistorikerInnen rekonstruierten und kartierten prähistorischen Raumordnungen aufgezeigt. Obgleich diese Beispiele raum- und zeitgebunden sind, sollen sie helfen, für Fragen nach der Herkunft und dem Entstehungskontext von Kartengrundlagen für die Archäologische Kartographie zu sensibilisieren und die Entstehung von Raumkonzepten in der Forschung zu hinterfragen.

 

The aim of this paper is to discuss the potentials of a historical perspective on mapping as an essential archaeological method. Implications between the political discourses of space and their cartographical representations in the late 19th and early 20th century on the one hand and the reconstructed and mapped prehistoric spatial orders on the other hand are investigated using two examples. An overview on the current state of research of archaeological mapping until the middle of the 20th century is followed by a short introduction into the so-called Critical Cartography. Using the examples of a map by Robert Beltz (1899) and a map by Gustaf Kossinna (1924) these different correlations and implications between current spatial discourses and mapped prehistorical spaces are shown. Although these examples are space and time dependent they can hopefully be helpful to sensitize to questions concerning the roots and context of the material for archaeological mapping and the development of spatial concepts in archaeology.

 

Maresi Starzmann
Der „Orient“ als Grenzraum: Die koloniale Dimension wissenschaftlicher Narrative zum Nahen Osten   [Zusammenfassung]   [Abstract]     

Im späten 19. Jahrhundert brachten koloniale Diskurse die Vorstellung eines „deutschen Orients“ hervor. In dem auch von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen popularisierten Bild vom Nahen Osten als ursprüngliche deutsche „Heimat“, liefen archäologische bzw. historische Narrative mit zeitgenössischen politischen Sehnsüchten zusammen. Trotz seiner Wirkkraft zeichnete sich in diesem Bild jedoch auch ein ängstliches Spannungsverhältnis zwischen Kolonie und Metropole ab, aus dem heraus sich kolonisierte Subjekte Handlungsräume erschließen konnten. In der kritischen Auseinandersetzung mit der kolonialen Dimension wissenschaftlicher Narrative zeigt dieser Beitrag anhand post- und dekolonialer Perspektiven auf, wie orientalistische Wissensräume destabilisiert werden können.

 

In the late nineteenth century, the imaginary of a “German Orient” emerged as part of existing colonial discourses. As scholars popularized an image of the Middle East as original German “homeland,” archaeological and historical narratives converged with contemporary political desires. Despite its impact, however, this image remained fraught with tensions and anxieties, which opened up space for the agency of colonized subjects. In offering a critical analysis of scientific knowledge production about the Middle East, this paper explores post- as well as decolonial possibilities of destabilizing Orientalist epistemologies.

 

Sophie-Marie Rotermund, Geesche Wilts, Stefan Schreiber
Angst vor der Postfaktizität? Vergangenheiten als Bricolage   [Zusammenfassung]   [Abstract]     

Die Angst vor der Postfaktizität macht sich in den Wissenschaften, so auch in der Archäologie bemerkbar und erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Status-Quo und zukünftige Strategien, um zum einen mit der Angst und zum anderen mit ‚Postfaktizität‘ umzugehen. Der Rückzug auf vermeintlich sichere, empiristische Positionen, wie sie bisweilen im Glauben an objektive, naturwissenschaftliche Methoden oder die Faktizität archäologischer Materialität praktiziert wird, greift häufig zu kurz. Denn nicht nur naturwissenschaftliche ‚Fakten‘, sondern auch Thesen der Geistes- und Sozialwissenschaften werden durch die Diffamierung als ‚fake news‘ angeprangert. Eine Trennung in ‚faktische‘ Wissenschaft und ‚postfaktische‘ un-/nicht-/pseudowissenschaftliche Diskurse erscheint wenig ausschlaggebend für den Erfolg vergangenheitsbezogener Konstruktionen. Vielmehr existiert schon immer eine Gemengelage aus unterschiedlichsten Interessen und Assoziationen. Durch einen Rekurs auf das Konzept des ‚wilden‘ Wissens in Anlehnung an Claude Lévi-Strauss, diskutieren wir u. a. anhand des ‚Kriegergrabs‘ Bj 581 aus Birka und des Cheddar Man, wie vielschichtig der Konstruktionsprozess der Vergangenheit ist. Erst wenn wir verstehen, wie die Vergangenheiten entlang der Achsen wildes Wissen/rationales Wissen, Faktizität/Postfaktizität und digitaler/analoger Diskussion entstehen, lassen sich die Aufgaben und Herausforderungen einer Archäologie im ‚postfaktischen Zeitalter‘ einschätzen und zugleich erkennen, dass wir schon immer in einem solchen lebten.

 

The fear of alternative facts makes itself felt in the sciences as well as in archaeology. It requires an examination of the status quo and future strategies to deal with both the fear and the alternative facts. We suggest that the retreat to a supposedly safe, empiricist position and the belief in the objectivity of scientific methods and the factuality of archaeological material is the wrong approach. Our reasoning is that scientific facts as well as theses of the humanities and social sciences are being denounced as “fake news”. A separation into “factual” science and “post-factual” or pseudo-scientific discourses does not appear to be crucial for the success of constructions of the past. Rather, there is always a mixed situation of different interests and associations. With recourse to Claude Lévi-Strauss’s concept of the “savage mind”, we discuss the “warrior grave” Bj 581 from Birka as well as the Cheddar Man to illustrate how complex the construction of past is. We can only assess the tasks and challenges of archaeology in the “post-truth era”, when we understand how “the past” emerges in the tensions between “savage knowledge” and “rational knowledge”, between facts and alternative facts, as well as between digital and analogue discussions. And only then can we realize that we have always lived in such an era.